Der 1939 in Buffalo, New York geborene Pianist und Saxophonist Charles Gayle gehört sicher zu den kompromisslosesten Figuren des zeitgenössischen Jazz. Seit er als Kind in der Kirche den Gospel-Chor am Piano begleitete, hat seine Musik einen tiefen spirituellen Hintergrund, ist sie Ausdruck seines unerschütterlichen Glaubens.
Mit dem Blues aufgewachsen, inspiriert von Thelonious Monk und Art Tatum, spielte Gayle in den 50er-Jahren in verschiedenen Jazz-Projekten, bis gegen Ende der Dekade die Hammond B-3-Orgel aufkam, welcher Entwicklung er nichts abgewinnen konnte. Er brachte sich das Saxophonspielen bei, vom Alto-Saxophon zum Tenor wechselnd, wobei er auch ein versierter Bariton-Spieler ist.
In den 70er-Jahren zog er nach New York, wo er während der vorangegangenen und dieser Dekade in der Free Jazz-Szene aktiv war. Ohne Konzessionen an Hörgewohnheiten und Verkäuflichkeit zu machen, den reinen, unverfälschten Ausdruck suchend, fand er bald keine Auftrittsmöglichkeiten mehr, was dazu führte, dass er für den grösseren Teil der zwanzig Jahre bis 1987 als Obdachloser lebte, an Strassenecken und in Subway-Stationen New Yorks seine Künste gegen ein paar Münzen in einer zerbeulten Blechdose unter die Leute bringend, was ihm an guten Tagen zu einer warmen Mahlzeit verhalf, an schlechten nicht.
Die Wende kam, als ihn Michael Dorf zu Auftritten in die Knitting Factory einlud, 1988 auf seinem Label das Album «Homeless» herausbrachte. Sein origineller Stil, die ausgefeilte Technik, die ihn polyphone Kadenzen spielen lässt, zerhackte Phrasierungen, die komplexe rythmische Muster und verborgene Melodien erkennen lassen, allenfalls mit dem Spiel von Albert Ayler oder dem späten Coltrane vergleichbar, verschaffte ihm bald die Aufmerksamkeit breiterer Jazzkreise.
Unter den Leuten, mit welchen er aufgetreten ist und aufgenommen hat, sind Namen wie William Parker, Cecil Taylor, Rashied Ali, Sunny Murray, Henry Grimes und John Tchicai. Aber auch Leute wie Thurston Moore und Henry Rollins, der ihn mit der Aufgabe betraute, mit seinem Trio ein Spoken Word-Album musikalisch zu untermalen, zählen sich zu seinen ergebenen Fans.
Es ist uns eine Freude, dass seine kurze Tour durch Europa, welche er mit dem Alto und am Piano, mit Gerald Benson am Bass und Michael Wimberly am Schlagzeug bestreiten wird, auch durch die Schweiz (einziges Konzert!), Bern, und über unsere Bühne führen wird.