Señor Coconut, der Mann der Tausend Aliase, hat wieder zugeschlagen und alle überrascht. Nach “El Baile Aleman” (gewidmet den deutschen Elektro-Pionieren Kraftwerk), “Fiesta Songs” (eine fröhliche Sammlung populären Liedguts, u.a. “Smooth Operator”, “Beat It”, “Smoke on the Water”) und “Yellow Fever” (eine Hommage an die japanischen Kollegen des Yellow Magic Orchestras) kommt jetzt nun der vierte Streich, an dem der musikalische Ritter der Kokosnuss bald ein Jahr in realen und virtuellen Studios gearbeitet hat. “Around the World” ist eigentlich ein schlichtes Popalbum, wäre da nicht el Señor alias Atomâ„¢: Der einfache Weg interessiert ihn nicht! Wenn man schon Perlen des internationalen Pops covert, dann sollte, nein, dann muss man sich mit einer starken Idee selbst einbringen. Den Adelsschlag erhält man dann, wenn sich die Gecoverten sogar an den Aufnahmen beteiligen, wie z.B. beim “Yellow Fever”-Album die drei Mitglieder des Yellow Magic Orchestras: Haruomi Hosono, Yukihiro Takahashi sowie Oscar- und Grammy-Gewinner Ryuichi Sakamoto oder diesmal der legendäre Kopf der Band Trio Stephan Remmler. Und damit wären wir mitten im Geschehen. Für “Around the World” hat er wieder aus Welthits “Elektro-Latino”-Songs gebastelt. Und wieder hat Señor Coconut erst einmal das Großorchester, mit dem er nun schon seit vielen Jahren seine Konzepte bei stürmisch gefeierten Tourneen auf den Bühnen umsetzt, aufgenommen, um später dann im eigenen Studio in Santiago de Chile die Aufnahmen auseinander zu nehmen, neu zusammen zu setzen, Spur für Spur chirurgisch zu behandeln und die Coconut-immanente Magie einzuflößen. Als Sänger standen ihm sein Frontmann Argenis Brito, der Crooner Louis Austen (ja, der Wiener Frank Sinatra!) und erwähnter Stephan Remmler zur Seite.
Die Gegenwart ist bestimmt von einer globalen Heimatlosigkeit, in der wiederum eine ganz neue Ästhetik möglich ist. Der Mensch, befreit vom kulturellen Ballast seiner Herkunft, bewegt sich autonom durch den Orbit der Klänge, die er schafft. Dabei benutzt Atomâ„¢ die Technik des mash ups oder culture clashs: Ein österreichischer Crooner singt auf einen Schweizer Cha-Cha-Cha (Pinball ChaCha), ein Japaner, Toshiyuki Yasuda, programmiert die Computerstimme auf einen brasilianischen Bossa-Nova-Klassiker (Corcovado – Quiet Nights of Quiet Stars), diese Stimme geht wiederum ein Duett mit Argenis Brito ein, einem venezolanischen Sänger, der in Berlin lebt. Ein Thema, das sich durch alle Señor Coconut Alben durchzieht, ist der Mambo, der wiederum ist ein von Dámaso Pérez Prado entwickeltes Kunstprodukt. Und erneut haben wir es mit einem Heimatvertriebenen zu tun: der Kubaner Pérez Prado lebte, arbeitete und starb in Mexiko und produzierte für den amerikanischen Markt. Er war derjenige, der Stereotypen verschiedenster Provenienz zusammenführte und damit “Lotion” überhaupt erst vermarktbar machte, was letztendlich dazu führte, dass jener Mambo in den Jazz überführt wurde oder bei uns in populären Schlagern der 50er/60er auftauchte. In “La vida es llena de Gables” clasht ein Latino-Bigband-Arrangement mit zeitgenössischem Reggaeton-Rap und von Atomâ„¢ entwickelten Aciton-Sounds – Aciton ist ein Hybrid aus Acid und Reggaeton. Der Titel “Around the World” von den Franzosen Daft Punk gibt den Rahmen dieser Ausnahme-Produktion, es ist der rote Faden, der sich durch das Album zieht, die Klammer: Electronica, die wieder auf ihre akustischen Füße gestellt wird, denn der kreative Prozess von Señor Coconut ist keine Einbahnstraße.